Donauuniversität Tagung 3.- 4.März 2008 „ISLAM IN SICHT“
Salem Hassan
In jüngster Zeit hat in Österreich und anderen europäischen Staaten die negative Einstellung gegenüber dem Islam und seinem Gründer weitere Kreise erfasst und auch vor der Politik nicht Halt gemacht. Es sind dies sehr gefährliche Vorboten, und wenn diese Entwicklung so weitergehen sollte, wird der Dialog vom Konflikt verdrängt, was bei den Muslimen in Europa zu wachsender Sorge führen wird.
Durch die Überbetonung der religiösen Orientierung des Menschen sowie die ständige Beschäftigung mit den religiösen Symbolen werden nur Hass und Zwietracht gesät, und das ist der erste Schritt zum Terrorismus. Wir im Irak haben damit bittere Erfahrungen gemacht. Am Anfang stand die Verbreitung des geistigen Terrorismus durch Prediger und Politiker, und schließlich hat sich Mord und Totschlag in der Gesellschaft ausgebreitet und unzählige unschuldige Opfer gefordert.
Ich möchte darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass derart unverantwortliche Äußerungen, wie wir sie in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben, nur Hass und Ablehnung bei den weltweit 1,2 Milliarden Muslimen schüren und den Terroristen weiteren Zulauf bescheren, insbesondere in unserer hochtechnisierten Zeit, in der antiwestliche Propaganda in Sekundenschnelle verbreitet werden kann. Gerade in dieser Zeit brauchen wir mehr Möglichkeiten zur Begegnung, um diesem Gedankengut entgegenzuwirken und die Menschheit vor den Zerstörern zu retten.
Ich bin optimistisch, dass Veranstaltungen wie diese Konferenz wesentlich dazu beitragen werden, diese Probleme zu behandeln und die verschiedenen Standpunkte einander näher zu bringen, und ich möchte die Gelegenheit ergreifen, um auf einige wesentliche Punkte näher einzugehen.
1. Die Wurzeln der Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen
Über dieses Thema zu sprechen erfordert lange und gründliche Forschungsarbeit und Auseinandersetzung mit der Geschichte, denn hier stehen einander zwei große ideologische Systeme gegenüber, die wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der menschlichen Zivilisation hatten. Über 1200 Jahre lang haben sie sich in der Führungsrolle abgewechselt und oftmals zusammengearbeitet. Die Kulturen haben sich durch den Austausch der Wissenschaften verwoben, und wir dürfen auch nicht vergessen, welch wichtige Rolle die Muslime bei der Ausbreitung der Zivilisation gespielt haben. Sie brachten nicht nur die griechische Kultur in den Westen, sondern es gingen auch zahlreiche Gelehrte aus ihren Reihen hervor. Erwähnt seien hier beispielsweise Avicenna, die Philosophen Al-Farabi und Mulla Sadra sowie der Universalgelehrte Al-Biruni. Diese und viele andere haben wesentlich zur Entwicklung der westlichen Kultur in verschiedenen Bereichen beigetragen. Avicenna wird beispielsweise im Westen noch immer als Arzt aller Ärzte angesehen.
Ich werde niemals die erste Vorlesung vergessen, die ich an der technischen Fakultät der Universität Wien besucht habe. Gleich am Anfang seines Vortrags erwähnte der Professor den arabisch-islamischen Gelehrten Al-Charazmi und seine herausragende Bedeutung im Gebiet der Mathematik, insbesondere der Algebra. Dann übernahm der Westen die Vorreiterrolle, und nunmehr erfolgt der Know-how-Transfer von Westen nach Osten. Dadurch haben sich die beiden Zivilisationen weiter einander angenähert, die Wissenschaft und die Humanität der Menschen haben neuerlich Brücken geschlagen. Darüber hinaus gibt es auch eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Tourismus, der eine besondere Rolle bei der Annäherung der Standpunkte spielt.
2. Islam und Muslime in der Sicht des Westens und umgekehrt
Es gibt vollkommen unterschiedliche Sichtweisen im Hinblick auf die Muslime, vor allem was die im Westen lebenden betrifft, und den Islam im Allgemeinen. Ich möchte auf einige allgemeine Punkte eingehen.
Auf ideologischer Ebene wird dem Islam vorgeworfen, er konzentriere sich auf Gewalt, Rache und Vergeltung. Daneben gibt es die direkten Angriffe auf den Propheten, der als hysterischer Dichter dargestellt wird, der Tatsachen verdreht habe und dessen Aussprüche (Hadith) nicht auf Tatsachen beruhen. Von Zeit zu Zeit aber finden wir unter den westlichen Publikationen auch Bücher, in denen der Prophet objektiv dargestellt wird und seine Spuren, die er in der Geschichte der Menschheit hinterlassen hat, gewürdigt werden. Der amerikanische Astronom und Historiker Michael H. Hart beispielsweise führt in seinem Werk „Die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte“ hundert herausragende Gelehrte an, die seiner Meinung nach großen Einfluss auf den Verlauf der Menschheitsgeschichte hatten, und an der Spitze dieser Liste, an erster Stelle, nennt er den Propheten Muhammad. Er führt dazu aus: „Ich habe Muhammad an die erste Stelle gestellt, und diese Wahl wird zweifellos viele Menschen verwundern. Sie sind auch zu recht verwundert, doch Muhammad ist der einzige Mensch in der Geschichte, der sowohl in religiöser als auch in weltlicher Hinsicht absolut erfolgreich war. Er hat den Islam begründet und praktisch alleine verbreitet, und entwickelte sich zudem zu einem politischen, militärischen und religiösen Führer. 1300 Jahre nach seinem Tod ist sein Einfluss nach wie vor ungebrochen.“
Auf kultureller Ebene finden wir die orientalische Malerei, die von der Leere des Islam spricht, und das islamische Erbe wird als Frucht des griechischen, christlichen und jüdischen Erbes angesehen. Sogar die islamischen Wissenschaften suchen die Wurzeln bei der Römern und Sassaniden. Wie dem auch sei, jedenfalls haben die Muslime die griechische Kultur in den Westen gebracht.
Die Rückständigkeit der Muslime ist ein schwacher Punkt, sie wird vom Westen gerne abfällig bewertet und einerseits dem fatalistischen Glauben, andererseits den herrschenden diktatorischen Regimen mit ihren Menschenrechtsverletzungen zugeschrieben. Es fällt schwer, über die Rückständigkeit der Muslime zu sprechen. Sie begründet sich in der Herrschaft einer Mentalität, die vom Islam weit entfernt ist, sowohl auf Staatsebene als auch bei Einzelpersonen.
Auf politischer Ebene sind die Muslime und der Islam dem Verdacht ausgesetzt, eine Quelle des Terrorismus zu sein, und das islamische Bewusstsein ist in der Tat – wie man sagt – ein fruchtbarer Boden für den Terror. Deshalb ist es absolut notwendig, diesem Bewusstsein in allen Bereichen entgegenzuwirken.
Im Gegenzug haben auch die Muslime ihre eigene Sicht des Westens:
Auf ideologischer Ebene halten sie die Menschen im Westen für Polytheisten, weil diese Jesus Christus für einen Gott halten. Im Hinblick auf die Zivilisation herrscht die Ansicht, dass der Westen trotz aller Fortschritte in der Vergangenheit die Menschlichkeit verloren hat. Er eignet sich lediglich die Errungenschaften anderer Zivilisationen an und drückt jeder Kultur, bedingt durch die unbegrenzten Möglichkeiten, seinen eigenen Stempel auf. Ein Beispiel dafür ist die westliche Konzeption der Menschenrechte, die auf alle Bereiche in den Ländern der dritten Welt umgelegt werden, auch auf das Familienleben, was oftmals negative Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Beziehungen hat. Darüber hinaus glauben die Muslime, dass der Westen mit seiner Betonung des Individualismus die Habgier fördert und die Moral vernachlässigt. Eine bekannte Folge davon war der Kolonialismus.
Auf politischer Ebene sehen die Muslime vor allem das Leid, das sie durch den westlichen Kolonialismus erdulden mussten, und sind der Ansicht, dass diese Ära noch nicht abgeschlossen ist. Zudem sind sie der Ansicht, dass sich der Westen den Islam als neues Feindbild erkoren hat, nachdem ihm sein altes Feindbild, der Kommunismus, abhanden gekommen ist. Im Lichte dieser Vorstellungen werden immer wieder Stimmen laut, die zum Kampf der Kulturen aufrufen. Die Tatsache, dass der Islam pauschal des Terrors verdächtigt wird, empört die Muslime und führt zu Hass und Ablehnung und in letzter Konsequenz zum Terror, und Terror erzeugt weiteren Terror. Wir leben im 21. Jahrhundert und sollten eigentlich die dunklen Zeiten der Geschichte überwunden haben, doch bedauerlicherweise kommen wieder die Hetzer an die Oberfläche, die neuerlich zum Kampf aufrufen. Das ist beschämend.
Trotz aller Rufe zum Kampf bleibt der Dialog der einzig richtige und erfolgversprechende Weg, denn Verständigung ist nur durch gegenseitiges Verständnis möglich. Jede der beiden Seiten muss ihr Bild von der anderen Seite korrigieren, die Kräfte der Verständigung fördern und im Gegenzug die negativen Kräfte eindämmen, bevor sich die Lage noch weiter zuspitzt.
3. Die Muslime in Österreich und anderen europäischen Ländern
Der Islam ist in Österreich seit langem verwurzelt. Er wurde im Jahr 1912 gesetzlich als Religionsgemeinschaft anerkannt. Das Gesetz wurde von Kaiser Franz Josef unterzeichnet und am 9. August 1912, nachdem es vom Parlament verabschiedet worden war, im Reichsgesetzblatt eingetragen.
Die 400.000 Muslime bilden in Österreich die zweitstärkste Glaubensgruppe nach den katholischen Christen. Diese Tatsache ist vielen Menschen nicht bewusst. In der Europäischen Union leben über 15 Millionen Muslime, das heißt, sie sind ein untrennbarer Teil der europäischen Gesellschaft geworden. Sie haben dieselben Wünsche und Sorgen wie alle anderen und spielen ihre Rolle in allen Bereichen der Gesellschaft. Es wäre falsch zu sagen, dass das Festhalten an der islamischen Identität einer Verleugnung der österreichischen oder europäischen Identität gleichkommt. Der einzige Unterschied ist, dass der Islam einige Besonderheiten hat, so durchdringt er beispielsweise alle Bereiche des Lebens, er regelt auch die menschlichen Verhaltensweisen, und daraus resultiert das Problem. Einige Menschen möchten nicht, dass der Islam in irgendeiner Weise in Erscheinung tritt, und meinen, diese Erscheinungszeichen stünden in grundlegendem Widerspruch zu den im Westen herrschenden säkularen Werten. Damit widersprechen sie aber selbst dem Prinzip der Demokratie und der Grundrechte, wie beispielsweise Glaubens-, Meinungs- und Gedankenfreiheit. Jeder Muslim hat das Recht, unter Beachtung der Gesetze seinen Glauben in der von ihm gewünschten Art und Weise zu leben und auch Gebetsstätten zu errichten. Wenn aber das Erscheinungsbild dieser Gebetsstätten die Charakteristika eines Gebietes verändern oder Unmut in der ansässigen Bevölkerung wecken, besteht kein Anlass, daran festzuhalten. Schließlich hat schon der Prophet empfohlen, stets die gute Nachbarschaft zu beachten und sie nicht zu stören.
Die bekannten hohen Minarettformen stammen aus einer Zeit, in der die Gebetszeiten noch nicht festgelegt waren. In Europa ist es nicht notwendig, so hohe Minarette zu bauen, sondern man kann auch zu anderen architektonischen Lösungen greifen. Im Irak etwa entstanden vor etwa 1200 Jahren krumme Minarette, das waren die ersten Modelle, die nicht sofort als Minarett erkannt wurden, da sie sich vollständig vom gängigen Erscheinungsbild unterschieden.
4. Was die Muslime tun sollten
Den Muslimen in Europa sind durch den Islam einige Pflichten gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, auferlegt. Jaafar as-Sadiq, der sechste Imam der Schiiten, empfahl, im Umgang mit Andersgläubigen großmütig zu sein und keine Feindschaft zu hegen. Sie sollten bestrebt sein, ein Gleichgewicht zwischen der islamischen Identität und den staatsbürgerlichen Pflichten zu schaffen, am Aufbau der Gesellschaft mitzuarbeiten und sich in allen Bereichen zu engagieren. Was die Verhaltensweise der Muslime im Westen anbelangt, so empfiehlt Großayatollah As-Sistani, eine der führenden Autoritäten der Schiiten, den in Europa lebenden Muslimen nachdrücklich, die Gesetze des jeweiligen Gastlandes zu respektieren und sie nicht zu übertreten. Er untersagt Lüge und Betrug in der Arbeitswelt, ebenso wie das Annehmen Geldleistungen oder Hilfe, die mit falschen Informationen erschlichen wurden, und selbst das Schwindeln bei Prüfungen in der Schule oder Verkehrsübertretungen.
5. Was zu beachten ist
Das Gleichgewicht und die friedlichen Beziehungen zwischen dem Westen und dem Islam stützen sich im Wesentlichen auf folgende Eckpfeiler:
1. Ausbreitung der religiösen Toleranz, die im Islam eine Selbstverständlichkeit ist. Die Muslime stehen Angehörigen anderer Religionen nicht hasserfüllt gegenüber, weil sie die religiöse Vielfalt als völlig natürliche Gegebenheit ansehen. Die meisten Religionen der Gegenwart haben in der Vergangenheit über Jahrhunderte in Frieden und Sicherheit mit dem Islam zusammengelebt, und es wurde niemand gezwungen, zum Islam überzutreten.
2. Der Ursprung der Religionen liegt in Gott, und Er ist der Gott von Abraham, Moses, Jesus und Muhammad. Im Koran wendet sich Gott an die Juden und Christen mit den Worten „Oh Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Gott allein dienen und nichts neben Ihn stellen“.
3. Den Religionshetzern muss entschieden entgegengewirkt werden, und es wäre ein moralisches Bündnis wünschenswert, um die Welt davor zu bewahren, sich „religiösen, sozialen und regionalen Identitäten“ beugen zu müssen. Es braucht neue Wege, um das Konzept der Weltbürgerschaft als Möglichkeit zur Überwindung des gegenwärtigen Dilemmas zu festigen.
4. Ich fordere insbesondere die politischen Parteien dazu auf, den Islam aus dem politischen Ränkespiel herauszuhalten, wie ich die Muslime dazu aufrufe, ihre Gebetsstätten nicht für fragwürdige politische Zwecke im eigenen Land zu missbrauchen. Jeder Muslim, der sich einer politischen Partei anschließen möchte, tut dies als österreichischer oder europäischer Staatsbürger, und die Religion soll hier nicht auf unwissende und falsche Weise für persönliche Zwecke instrumentalisiert werden. Der Islam ist unser Glaube und wir wollen ihn nicht kurzsichtigen politischen Ränkespielen opfern, um eigene Gelüste zu befriedigen. Gleichzeitig beanspruchen aber die Muslime wie alle anderen Bürger ihrer Staaten das Recht auf freie Meinungsäußerung, um als Teil der islamischen Weltgemeinschaft ihre Solidarität mit allen unterdrückten Geschwistern und Menschen in der Welt zum Ausdruck zu bringen und sich so für Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden in ihrem Land und in der ganzen Welt einzusetzen.
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